Dr. Daniela Jäkel-Wurzer ist Expertin für die weibliche Nachfolge in Familienunternehmen. Sie ist Mit-Autorin des „Praxishandbuch Weibliche Nachfolge“ und des Buches „Töchter in Familienunternehmen“. In diesem erfrischend offenen Interview analysiert die Wissenschaftlerin und systemischen Coachin die aktuellen Entwicklungen von Frauen in den Führungsetagen von Familienunternehmen.

Carola Jungwirth: Mitten in der Corona-Krise schreckte eine Studie der Allbright Stiftung die familienunternehmerische Landschaft auf: Weniger als 7% der Mitglieder in Geschäftsführungen von Familienunternehmen sind Frauen (im Vergleich zu 15% Frauenanteil in den Dax 30-Unternehmen). Hat dich dieses Ergebnis überrascht?

Daniela Jäkel-Wurzer: Ja, das hat mich tatsächlich überrascht, weil unsere eigene Studie, die wir in Kooperation mit der Universität Witten 2017 durchgeführt haben, ein wesentlich besseres Ergebnis zeigte. Unsere Studie kommt bei der Nachfolgebesetzung in Familienunternehmen auf einen Anteil von 42% Frauen. Das hatte uns damals sehr beflügelt. Ich habe daher die Studien wegen ihrer unterschiedlichen Ergebnisse miteinander verglichen. Heraus kam, dass es einen großen Unterschied macht, in welcher Generation die Nachfolge stattfindet. Der Wechsel von der ersten auf die zweite Generation in einem Unternehmen ist ganz fantastisch für weibliche Nachfolge. Da lag der Schwerpunkt der 2017er-Studie, und so erklären sich die unterschiedlichen Ergebnisse.

„Alter und Größe des Familienunternehmen spielen bei der Anzahl der weiblichen Nachfolgerinnen eine Rolle“

Carola Jungwirth: Dann lass uns gerne zunächst mit bei der erfreulicheren Zahl anfangen. Was ist deine Erklärung für eine Quote von 42%?

Daniela Jäkel-Wurzer: Wir vermuten, dass in diesen jüngeren Unternehmensgenerationen die Muster noch nicht ganz so eingefahren sind wie in Familienunternehmen, die z.B. in der fünften Generation bestehen. Da gab und gibt es vielleicht die Tradition, dass Nachfolge männlich zu sein hatte. Außerdem sind in diesen „jungen“ Unternehmen die Familienstämme ja auch noch kleiner. Damit sind weniger Familienmitglieder in der Nachfolge involviert und das macht es für Frauen einfacher, in die Nachfolge einzutreten.

Im Gegensatz dazu hat die Allbright-Studie die DAX-Unternehmen und Großunternehmen untersucht. Da sind die Familien ja oft nicht mehr unmittelbar an der Nachfolge beteiligt. Die Strukturen sind professioneller und traditionell sind die Posten mit Männern besetzt. Kurzum: Alter und Größe des Familienunternehmen spielen bei der Anzahl der weiblichen Nachfolgerinnen eine Rolle.

Dr. Daniela Jäkel-Wurzer: "Wir Frauen sind sehr streng mit uns."

Carola Jungwirth: Dann sind die Studien eigentlich parallel zueinander zu betrachten: Weibliche Nachfolge in „jungen Familienunternehmen“ und „traditionellen Familienunternehmen“?

Daniela Jäkel-Wurzer: Ja absolut. Ich bin daher mit diesen Studien eh ein wenig kritisch. Manchmal werden da Äpfel mit Birnen verglichen. Denn was genau ist ein Familienunternehmen? Das ist ein Begriff, der in der Forschung nicht immer ausreichend differenziert wird. Und an dem Beispiel mit der weiblichen Nachfolge kann man gut sehen, was für einen Unterschied es machen kann. Neben Größe und Alter spielt zum Beispiel auch die Branche eine Rolle. Das haben wir bei unserer Studie 2017 ganz genau abgefragt.

Carola Jungwirth: Wenn wir den Blick nun auf die älteren Familienunternehmen richten. Gibt es vielleicht so etwas wie einen „blind spot“, den diese Unternehmen im Hinblick auf eine weibliche Nachfolge haben?

Daniela Jäkel-Wurzer: Ja, aber haben wir das nicht alle? Wir haben Kategorien und Grenzen im Kopf, mögen Ordnung und Struktur. Alles andere macht uns Angst. So ist es bei Familienunternehmen auch. Ich habe mal ein Interview mit einer weiblichen Nachfolgerin geführt. Sie saß unter einer Fotogalerie, die die Geschäftsführer des Unternehmens zeigten. Ihr Bild hing neben sechs männlichen Vorgängern. Sie war nun die siebte und die erste Frau in dieser Reihenfolge.

Da habe ich es verstanden: Es ist für alle Beteiligten ein Wagnis, nicht nur für die Frauen. Es ist etwas, was unser bisheriges Gefühl von Ordnung durcheinanderbringt. Es ist ein Experiment. Und wer experimentiert schon gerne mit seinem Unternehmen?


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„Wir haben noch kaum gesellschaftliche Vorbilder“, findet Dr. Daniela Jäkel-Wurzer

Carola Jungwirth: Es ist sicher hilfreich, an dieser Stelle auch einmal die Brille der männlichen Familienunternehmer aufzusetzen und den Gedanken zuzulassen, dass eine weibliche Nachfolge auch für sie eine große Veränderung mit sich bringt. Wenn es über sechs Generationen nur männliche Nachfolger gab, dann ist eine weibliche Nachfolge in der Tat eine große Veränderung.

Daniela Jäkel-Wurzer: Ja, das stimmt. Und wir haben noch kaum gesellschaftliche Vorbilder. Erst so nach und nach kommen diese. So kann man nur wenig auf andere Unternehmen schauen, wo sich weibliche Nachfolgerinnen als Führungspersonen bereits etabliert haben.

Lesen Sie hierzu mein Interview mit der weiblichen Nachfolgerin Dina Reit.

Carola Jungwirth: Lass uns noch einmal zurück zur Allbright-Studie kommen. In den Aufsichtsgremien von Familienunternehmen liegt der Frauenanteil immerhin bei 24,5%. Wie erklärst du dir diese Zahl?

Daniela Jäkel-Wurzer: Ich glaube, dass ist eine Art Nische, die Unternehmer-Töchtern ermöglicht wird. Gerade in großen Unternehmen, wenn es der Tochter nicht möglich ist, in das operative Geschäft einzutreten, weil das oft bereits mit Fremdmanagern besetzt ist. Da ist der Aufsichtsrat ein gutes Gremium, auch um ein Gesicht der Familie doch noch im Unternehmen vertreten zu haben. Und der Aufsichtsrat ist nicht unbedingt ein Full-Time-Job, lässt sich daher gut mit Familie vereinbaren. Daher kenne ich viele Frauen, die diesen Weg gehen.

Weibliche Unternehmensnachfolge

Carola Jungwirth: In eine ähnliche Richtung geht vielleicht auch, dass sich mit 52% überdurchschnittlich viele Frauen als Gremiumsmitglieder in Unternehmensstiftungen engagieren, oder?

Daniela Jäkel-Wurzer: Ja, gleicher Grund. Da ist nicht die Macht. Gleiches gilt für Family Offices. Alles Posten, die man gerne den Töchtern gegeben hat. Ich sag extra „gegeben hat“. Denn das ändert sich gerade, auch wenn es in den großen, traditionsreichen Familienunternehmen durchaus noch so ist.

Carola Jungwirth: Wer oder was ist denn die treibende Kraft bei diesen konkreten Postenverteilungen? Du sprachst von den Vätern, die ihren Töchtern diese Posten geben. Oder sind es auch die Frauen, die diesen Weg für sich wählen?

Daniela Jäkel-Wurzer: Ja, es sind oft die Frauen selbst, die diese Alternative für sich wählen. Gerade wenn der Weg in die operative Führung für sie versperrt ist, sie sich aber dennoch im familiären Unternehmen engagieren wollen und sie auch die Notwendigkeit sehen, dass es eine Familienvertretung in den Gremien gibt.

Carola Jungwirth: Was braucht es denn nach deiner Ansicht, um mehr Frauen in entscheidenden Führungspositionen zu sehen?

Daniela Jäkel-Wurzer: Ich erlebe es oft, dass ein Coaching mit einer weiblichen Nachfolgerin mit dem Satz, „ich weiß nicht, ob ich das kann“ beginnt. Wir Frauen sind da sehr streng mit uns. Und wenn es sich um das eigene Familienunternehmen handelt, wollen wir es besonders gut machen. Da gehen wir sehr hart mit uns ins Gericht. Frauen kommen daher oft ganz früh in das Coaching, bevor sie die Nachfolge überhaupt antreten. Weil sie sich sehr gut vorbereiten wollen, weil der Anspruch sehr hoch ist.

Das dürfen wir Frauen gerne ein wenig leichter nehmen. Und wir brauchen Rollenvorbilder. Wir brauchen Berater, die dabei unterstützen und Universitäten, die spezielle Studiengänge dafür anbieten. Wir müssen die Grenzen im eigenen Kopf sprengen, und zu einem „Das geht-Denken“ kommen.

Carola Jungwirth: Ja, das kann ich aus meinen Beratungen bestätigen. Der Satz, „ich weiß nicht, ob ich das kann“, wäre kein typischer Satz für einen männlichen Nachfolger. Der fängt einfach an.

Daniela Jäkel-Wurzer: Es braucht aber auch noch mehr Unterstützung im Außen. Wenn eine weibliche Nachfolgerin zur Bank geht, ist es mitunter immer noch wirklich fürchterlich, wie sie dort behandelt wird. Sie wird nicht für voll genommen. Auch das ändert sich. Und es ist noch da. Doch ich hoffe, dass wir auch durch Corona hier in eine Art Reflexionsprozess kommen. Dass sich das aufweicht.

Daniela Jäkel-Wurzer: „Mein Credo: Führt im Tandem!“

Dr. Daniela Jäkel-Wurzer ist Expertin für weibliche Nachfolge

Dr. Daniela Jäkel-Wurzer ist Expertin für weibliche Nachfolge

Carola Jungwirth: Was kann denn die Unternehmerfamilie noch zum Gelingen einer weiblichen Nachfolge beitragen?

Daniela Jäkel-Wurzer: Zuallererst: Unterstützen. Kein: „Oh Gott, das willst du dir antun“ – vielleicht auch gerade von den Müttern. Die haben oft bei ihren Ehemännern erlebt, was es heißt, ein Unternehmen zu führen. Mütter haben viel Macht in der Familie. Es wäre schön, wenn sie diese sehen könnten und weniger abstreiten würden. Wenn sie diese Macht positiv im Sinne der Sache einsetzen, dann hilft das sehr. Sie können sehr unterstützen, dass sich Frauen nicht mehr in eine Rollen-Schablone pressen lassen. Heute ist es möglich, ein Unternehmen als Frau in Franken zu leiten und gleichzeitig mit drei Kindern in Berlin zu wohnen. Dabei können alle Familienmitglieder unterstützend wirken.

Und: Viele Gespräche. Es gibt zu wenig Kommunikation. Dafür auch die Familiencharta. Das ist wie ein Führerschein für Familienunternehmen. Ich finde, es dürfte gar kein Familienunternehmen ohne Familiencharta mehr geben. Weil damit relevante Themen angesprochen und intern verhandelt werden.

Carola Jungwirth: Da stimme ich dir voll und ganz zu: Kommunikation ist und bleibt der Schlüssel für eine erfolgreiche Nachfolge. Und die Familiencharta oder Familienverfassung ist ein großartiges Instrument, um miteinander ins Gespräch zu kommen. Letzte Frage: Würde mehr Akzeptanz und Verbreitung von Co-Leadership die weibliche Nachfolge unterstützen?

Daniela Jäkel-Wurzer: Frauen wünschen sich oft Sparring-Partner. Das gilt sicher auch für die weibliche Nachfolgerin in einem Familienunternehmen. Frauen führen in Tandem. Das ist unsere Stärke. Wir können auch leben und leben lassen. Wir kennen unsere Stärken und Schwächen, und wir sind bereit, uns bei unseren Schwächen unterstützen zu lassen. Von daher passt Co-Leadership gut. Die Welt ist auch zu komplex geworden, als dass ich alles alleine wissen kann. Mein Credo: Führt im Tandem!

Carola Jungwirth: Liebe Daniela, ich danke dir sehr für deine offenen Worte. Auch die helfen, dass die Nachfolge in Familienunternehmen noch bewusster angegangen wird.

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