Viele Familienunternehmen haben seit jeher nachhaltiges Wirtschaften auf ihre Fahne geschrieben. Sie denken in Generationen, nicht in Geschäftsjahren und stehen für resiliente Geschäftsmodelle. Doch reicht es aus, nur aus Tradition auf Nachhaltigkeit zu setzen oder brauchen Familienunternehmen eine zeitgemäßere Nachhaltigkeitsstrategie?
Im Interview mit Dr. Meike Gebhard, Geschäftsführerin von Utopia.de, Deutschlands führendem Nachhaltigkeitsportal, und Expertin für unternehmerische Nachhaltigkeitsstrategien, diskutiere ich über die Relevanz von Nachhaltigkeit in Familienunternehmen.
Carola Jungwirth: Woraus resultiert nach deiner Einschätzung das Nachhaltigkeitsbewusstsein in Familienunternehmen?
Meike Gebhard: Anders als große Unternehmen sind Familienunternehmen stärker auf Langfristigkeit ausgerichtet. Nachhaltigkeit bedeutet ja im Kern Dauerhaftigkeit und Zukunftsfähigkeit. Das ist nach meinem Verständnis das Wesen von Familienunternehmen. Vereinfacht gesprochen: Wer in seiner Region ein hoch respektierter Unternehmer sein will, verschmutzt eben nicht das lokale Gewässer.
Carola Jungwirth: Wo macht sich Nachhaltigkeit bei Familienunternehmen besonders bemerkbar? Gibt es einen Unterschied zu sonstigen Unternehmen?
Meike Gebhard: Das lässt sich nicht pauschal beantworten. Insgesamt stelle ich fest, dass Familienunternehmen sich durch langfristige Beziehungen zu ihren Lieferanten und Partnern auszeichnen. Entsprechend registriere ich auch bei komplexen, globalen Lieferketten (z.B. in Textilbranche) einen verantwortungsvolleren Umgang mit Lieferanten. Die Achtung der Menschenrechte, die Einhaltung von Sozial- und Umweltstandards genießen einen höheren Stellenwert als bei anderen Unternehmen.
Nachhaltigkeit wird von der Kür zur Pflicht
Carola Jungwirth: Wie nimmst du allgemein den Umgang mit dem Thema Nachhaltigkeit in den letzten Jahren wahr?
Meike Gebhard: Die letzten Jahre sind geprägt von multiplen Krisen wie Corona, dem Ukraine-Krieg, Lieferkettenengpässen. In der Vergangenheit rutschte das Thema Nachhaltigkeit in solchen Krisenzeiten immer aus dem Fokus von Politik und Öffentlichkeit. Das ist heute komplett anders. Das Thema spielt für Verbraucher, Unternehmen und Politik eine zentrale Rolle. Deutschland und Europa haben sich das Ziel gesetzt, bis Mitte des Jahrhunderts klimaneutral zu werden. Um den Umbau zu einer klimaneutralen Wirtschaft voranzubringen, hat die Politik auf nationaler wie internationaler Ebene in nie dagewesenem Umfang Regulierungen auf den Weg gebracht. Um ein paar Schlagworte zu nennen:
- EU Green Deal
- Taxononomie-Verordnung
- Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz
- Green Claims Directive und natürlich die
- Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD), die die bestehenden Regeln zur Nachhaltigkeitsberichterstattung deutlich erweitert.
All diese Richtlinien und Verordnungen haben unmittelbare Implikationen auf unternehmerisches Handeln.
Traditionell nachhaltig, aber oft noch ohne Strategie
Carola Jungwirth: Du berätst Unternehmen zum Thema Nachhaltigkeitsstrategie und -kommunikation. Was sind deine diesbezüglichen Erfahrungen mit Familienunternehmen?
Meike Gebhard: Viele Familienunternehmen agieren schon seit Jahrzehnten nachhaltig – ohne es zwingend so zu benennen. Der respektvolle Umgang mit Lieferanten, Mitarbeiter und Partnern, der schonende Umgang mit Ressourcen und der lokale Umweltschutz werden als selbstverständlicher Teil der unternehmerischen Verantwortung interpretiert und gelebt. Im Unterschied zu großen, kapitalmarktorientierten Unternehmen tun sie dies aber oft weniger strategisch – und Familienunternehmen kommunizieren weniger über ihr Nachhaltigkeitsengagement. Damit lassen sie Chancen, sich im Wettbewerb zu profilieren und Reputation aufzubauen, ungenutzt.
Carola Jungwirth: Hast Du eine Idee, woran das liegen könnte?
Meike Gebhard: Die Gründe sind vielschichtig. Zum einen ist Nachhaltigkeit für viele Unternehmer, wie gesagt, fast eine Selbstverständlichkeit. Zum anderen unterlagen kleinere, nicht kapitalmarktorientierte Unternehmen bis dato nicht der der CR-Berichtspflicht, also der Verpflichtung, neben einer finanziellen auch eine nicht-finanzielle Erklärung abzugeben. Entsprechend sahen sie sich nicht gezwungen, ein systematische Nachhaltigkeitsmanagement aufzusetzen und wesentliche Kennzahlen zu erheben. In der Regel wurden von einigen Mitarbeiter ausgewählte Projekte mit großem Engagement vorangetrieben. Es fehlte aber oft die strategische und die kommunikative Klammer. Daraus resultierte eine große Unsicherheit, worüber glaubwürdig kommuniziert werden kann. Um sich nicht dem Vorwurf des Greenwashings auszusetzen, unterblieb dann die Kommunikation. Durch die CSRD wird sich das fundamental ändern.
CSRD erhöht Ansprüche an Nachhaltigkeitsberichte
Carola Jungwirth: Was genau bedeutet die CSRD für Familienunternehmen?
Meike Gebhard: Durch die CSRD wird sich die Nachhaltigkeitsberichterstattung in mehrerlei Hinsicht verändern:
- Die Anzahl der reportingpflichtigen Unternehmen in Deutschland wächst dramatisch: von aktuell 500 auf 15.000 Unternehmen bis 2026. Die Nachhaltigkeitsberichtspflicht gilt für alle Unternehmen, die zwei der drei folgenden Größenkriterien erfüllen: Bilanzsumme von mindestens 20 Millionen Euro. Nettoumsatzerlöse von mindestens 40 Millionen Euro, mindestens 250 Mitarbeitende.
- Die Ansprüche an Nachhaltigkeitsberichte steigen: Im Rahmen eines neuen Europäischen Reporting-Standards (ESRS) wird einheitliche und verbindliche geregelt, welche sektorspezifischen und sektorübergreifenden Kennzahlen Unternehmen reporten müssen.
- Die Nachhaltigkeitsberichterstattung wird Teil der Geschäftsberichterstattung. Nicht-finanzielle müssen künftig im Lagebericht veröffentlicht werden. Nachhaltigkeits-Kennzahlen werden damit zu genauso harten Zahlen wie die finanziellen Kennzahlen.
In an nutshell: Nachhaltigkeit wird auch für mittelständische Familienunternehmen von der Kür zur Pflicht. Das wird sowohl das Management von Nachhaltigkeit als auch die Kommunikation grundlegend verändern.
Die NextGen will sichtbar noch nachhaltiger wirtschaften
Carola Jungwirth: In vielen Familienunternehmen stehen Generationswechsel auf der Führungsebene an. Die sogenannte NextGen ist bereit, das Steuer zu übernehmen. Wie nimmst du die Bedeutung des nachhaltigen Wirtschaften für die jüngere Generation wahr?
Meike Gebhard: Aus einschlägigen Studien wissen wir, dass sowohl für junge Konsumenten als auch für junge Unternehmer das Thema Nachhaltigkeit zunehmend an Bedeutung gewinnt. Konsumstile verändern sich – und mit Ihnen auch die Ansprüche an das eigene Arbeitsumfeld. Zudem wird immer mehr Unternehmen klar, dass langfristig an der Nachhaltigkeit wie an der Digitalisierung kein Weg vorbeiführen wird, weil sich Märkte verändern. Was manchmal noch zu fehlen scheint, ist eine Nachhaltigkeitsstrategie, die es den Familienunternehmen ermöglicht, noch flexibler auf die sich verändernden Nachhaltigkeitsentwicklungen reagieren zu können. Im Zuge der zunehmenden Regulierung wird sich das aber ändern. Wer auch in Zukunft compliant sein will, kommt an einer Nachhaltigkeitsstrategie und einem professionellen Nachhaltigkeitsmanagement nicht vorbei.
Carola Jungwirth: Wird durch die aktuellen Konjunkturflaute die Entwicklung zu einem nachhaltigeren Wirtschaften beeinträchtigt?
Meike Gebhard: Durch die Folgen von Corona- und Ukraine-Krise und die zu aktuelle wirtschaftliche Schwächeperiode gerät das Thema Nachhaltigkeit unter Druck. Die Widerstände gegen zusätzliche Regulierung und Bürokratie wachsen. Andererseits ist den Unternehmen klar, dass der grundsätzliche Trend in Richtung Nachhaltigkeit und Klimaneutralität unumkehrbar ist. Entsprechend wünschen sie sich von der Politik vor allem Planungssicherheit und mehr Tempo bei der Energiewende. Nicht zu vergessen: Im Rahmen der Milliarden-Förderprogramme, die die EU nach der Corona-Krise aufgelegt hat, wurde ein klarer Fokus auf Digitalisierung, Nachhaltigkeit und Resilienz der Wirtschaft gelegt. Und nicht zuletzt fördert die Ampel-Regierung – vergleichbar dem Inflation Reduction Act der USA – mit Milliarden Subventionen Investionen in Digitalisierung und Nachhaltigkeit. Unterm Strich lautet meine Einschätzung: Ja, wir werden weiter Konjunkturen beim Thema nachhaltiges Wirtschaften erleben, aber der grundsätzliche Trend ist unumkehrbar. Der Klimawandel lässt uns auch keine andere Wahl.
Carola Jungwirth: Vielen Dank für das Gespräch.
Dr. Meike Gebhard ist Geschäftsführerin von Utopia.de
Weiterführende Links:
- http://Utopia-Studie: Corona-Krise stärkt die Relevanz von Nachhaltigkeit
- UTOPIA-Studie 2020: Nachhaltigkeit, Konsum, gesellschaftlicher Wandel (PDF)
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