Die Stammbildung in Familienunternehmen ist eine verbreitete Art der Willensbildung in Familienunternehmen. Ist sie wohl durchdacht und klar in ihrer Intention, kann sie eine gute Alternative für die Unternehmerfamilie sein, um professionelle Entscheidungen treffen zu können. Ist sie das nicht, verlagert sie bestehende Konflikte in die einzelnen Familienstämme.

Mit zunehmender Zahl der Generationen in Familienunternehmen wächst in der Regel dort auch die Anzahl der Gesellschafter und Gesellschafterinnen. Das kann Abstimmungsprozesse erheblich erschweren. Eine beliebte Möglichkeit, der wachsenden Stimmenzahl entgegen zu wirken, ist die Bündelung von Stimmen in der Gesellschafterversammlung durch die sogenannte Stammbildung. Eine kritische Betrachtung über diese Form der Abstimmung.

Was versteht man unter Stammbildung?

Was sich genau hinter dem Begriff Stammbildung (zuweilen auch Stammesbildung) verbirgt, lässt sich am einfachsten anhand eines konkreten Beispiels erläutern:

Die Stammbildung in Familienunternehmen hat Vor- und Nachteile

  • Stellen Sie sich ein Unternehmer-Elternpaar als erste Generation vor.
  • Hat das Paar zwei Kinder, werden in der zweiten Generation dadurch drei neue Familienstämme gebildet.
  • Bekommt diese zweite Generation nun jeweils Abkömmlinge (dritte Generation), dann fangen die Stämme an, sich weiter zu verästeln. Aber eben nur innerhalb ihres Stammes.
  • Bei der sogenannten familienunternehmerischen Stammbildung wird dieses Bild der Stämme für die Willensbildung in der Gesellschafterversammlung übernommen. Mit dem Ergebnis: Egal, wieviel Verästelungen bzw. Generationen und Familienmitglieder in einem Stamm vorhanden sind, immer wird dieser Familienzweig mit einer gebündelten Stimme für seinen Stamm in der Gesellschafterversammlung vertreten sein.

In unserem Beispiel heißt das: Es gibt zwei Kinder in der zweiten Generation, also zwei Familienstämme. Damit ist auch die Anzahl der Stimmen in der Gesellschafterversammlung auf zwei festgelegt.

Wie viele Generationen sich später die Anteile in den einzelnen Familienstämme teilen, spielt für die Gesellschafterversammlung keine Rolle. Das heißt in der Konsequenz auch: In dem einem Familienstamm kann sich die Familie schon in der fünften Generation befinden, während die Familie des anderen Stammes erst in der dritten Generation lebt. Aber beide Stämme sind nur mit jeweils eine Stimme in einer Gesellschafterversammlung vertreten.

Tradition der Stammesbildung in Familienunternehmen

Stammbildungen entspringen einem eher patriarchalischen Führungsstil. Denn Stämme erleichtern eine effiziente Führung von oben, weil die Anzahl der „Mitbestimmenden“ überschaubar bleibt. Der traditionelle Unternehmer wählte diese Variante gerne, um sein Lebenswerk in Familienhand zu halten.

In der Tat wirkt die Stammesbildung der dargestellten Verästelung entgegen. Man spricht in diesem Zusammenhang davon, der Zersplitterung der Anteile durch den Generationenzuwachs vorzubeugen. Nach dem Motto „Viele Köche verderben den Brei“ soll die Stammlösung durch weniger Stimmen die Willensbildung vereinfachen. Das macht Abstimmungsprozesse vordergründig einfacher und könnte somit theoretisch auch zum Familienfrieden beitragen.

Warum nur vordergründig?

Der Umstand, dass Stimmen gebündelt werden, muss nicht bedeuteten, dass es weniger unterschiedliche Meinungen im Gesellschafterkreis gibt und dadurch der Familienfrieden einfacher gewahrt bleibt. Etwaige Meinungsverschiedenheiten zwischen den Familiengesellschaftern werden durch eine Stammbildung lediglich von der Gesellschafterversammlung in die jeweiligen Familienstämme verlagert. In einem Familienstamm sind Familienmitglieder nicht unbedingt schneller einer Meinung. Das Gegenteil kann der Fall sein. Das kann zum Beispiel passieren, wenn in einem Familienstamm Geschwister aufeinandertreffen, deren Verhältnis belastet ist. Dann besteht die Gefahr, dass eine übereinstimmende Beschlussfassung ausschließlich aufgrund von emotionalen Gründen abgelehnt wird.

Durch die Verlagerung der Entscheidungsfindung in die Familienstämme kann darüber hinaus wichtiger Austausch verloren gehen. Vielleicht sind die Mitglieder eines anderes Familienstammes in der konkreten Angelegenheit kompetenter als der eigene Stamm, dem durch die Stammbildung wichtige Impulse verloren gehen können. Dabei sollte gelten: Je komplexer ein Thema, desto wichtiger der stammesübergreifende Austausch zur Meinungsbildung.

Stammbildungen bergen weiterhin die Gefahr der taktischen Blockaden in Abstimmungsprozessen. Nach dem Motto: „Ihr unterstützt uns bei diesem Vorhaben. Dafür bekommt ihr unsere Stimme bei einem Projekt, das ihr durchbringen wollt.“ Die Stammesbildung stärkt tendenziell ein Denken in „Wir“ und „Ihr“. Dabei sollte es in einem familienunternehmerischen Miteinander um ein „Uns“ gehen.

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Die Stammbildung vereinfacht, klärt aber nichts

Wird die Stammlösung in dem Glauben eingeführt, damit den Familienfrieden zu schützen und die familiäre Harmonie zu stärken, kann das zu Lasten des professionellen Interesses gehen, die für die Zukunft des Unternehmens beste Entscheidung zu treffen. Unternehmerisch beste Entscheidungen gehen in der Meinungsfindung oft streitbare oder umstrittene Prozesse voraus. Eine Unternehmerfamilie ist gut beraten, diesem Prozess nicht aus dem Weg zu gehen, sondern sich diesem zu stellen. Dann agiert sie kraftvoll und stärkt das Familienunternehmen, weil sie ihre souveränen Umgang mit kontroversen Themen zeigt.

Fazit

Die Stammeslösung kann unter Umständen eine Vereinfachung im Willensbildungsprozess darstellen. Sie ist jedoch kein taugliches Mittel zur Klärung von Unstimmigkeiten. Die Stammbildung sollte daher wohlüberlegt eingesetzt und weder zur Machtbündelung noch als Mittel zur Wahrung des Familienfriedens falsch gebraucht werden.

Hören Sie zum Thema „Stammbildung / Stammlösung in Familienunternehmen“ auch meinem Podcast Family Business Time #3 auf SpotifyApple PodcastsGoogle Podcasts oder direkt hier:

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Ich plädiere dafür, sich die Vor- und Nachteile einer Stammlösung vorab genau bewusst zu machen, um dann zwischen den verschiedenen Formen der Abstimmung zu wählen.

  • Vorteil der Stammlösung:
    Die Stammesbildung trägt eindeutig zur Vereinfachung der Willensbildung bei. Wenn nur wenige statt zweitstellige Stimmen in der Gesellschafterversammlung vertreten sind, dann erleichtert das in der Regel die Abstimmungsprozesse.
  • Nachteil der Stammbildung:
    Das Verlagern der Entscheidungsfindung in einen Familienstamm kann den Verlust von wichtigen fachlichem Austausch zur Folge haben.
  • Noch ein Nachteil:
    Die Stammbildung kann zu taktischen „Blockabsprachen“ führen. Das mag in einem Parlament funktionieren, ist aber für den familiären Zusammenhalt eher ungünstig. Taktieren ist dem Familienfrieden eben nicht zuträglich.

Mein Rat: Bitte prüfen Sie stets Ihre wahren Beweggründe für eine anvisierte Stammbildung. Das große Plus der Stammlösung ist und bleibt eine gewisse Stabilisierung und die vereinfachte Willensbildung. Ermöglichen Sie zukünftigen Generationen in diesem Fall, von der Stammlösung auch wieder abzuweichen zu können. Althergebrachte Korsette müssen nicht über Generationen der Familienstämme hinweg weitergetragen werden, wenn sie nicht mehr stimmig sind und dem Familienfrieden nicht dienen.

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